Sie liegt im Briefkasten, unscheinbar zwischen Rechnungen, Prospekten und der Zeitung von heute, ein Umschlag, der alles verändern kann: die Kündigung.
Ein paar gefaltete Seiten, die über Existenzen entscheiden und ganze Lebenswege neu schreiben können. Damit sie überhaupt wirksam wird, muss eines zweifelsfrei feststehen: Sie ist tatsächlich angekommen. Viele Arbeitgeber setzen dafür auf das Einwurf-Einschreiben, schließlich klingt es nach einer narrensicheren Methode. Der Postbote wirft den Brief ein, der Status wird online vermerkt und der Fall scheint erledigt.
Doch was, wenn dieser vermeintlich sichere Beweis vor Gericht ins Wanken gerät? Ist das Einwurf-Einschreiben wirklich der Joker im Ärmel des Arbeitgebers oder nur ein trügerisches Sicherheitsgefühl?
Eine entscheidende Rolle spielt dabei der sogenannte Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis ist eine Art Abkürzung im Beweisrecht. Er greift immer dann, wenn ein Ablauf so typisch ist, dass er nach allgemeiner Lebenserfahrung fast immer auf die gleiche Ursache zurückzuführen ist. In solchen Fällen muss die Person, die sich darauf beruft, nicht jedes einzelne Detail beweisen, sondern nur die äußeren Umstände schildern, die für diesen typischen Ablauf sprechen. Der andere muss dann darlegen, warum es ausnahmsweise anders gewesen sein soll.
Im Januar 2025 hatte das Bundesarbeitsgericht einen Fall zu entscheiden, der in der arbeitsrechtlichen Praxis häufig vorkommt. Eine Arbeitnehmerin bestritt, dass ihr eine Kündigung überhaupt zugegangen sei. Der Arbeitgeber hatte die Kündigung am 26. Juli 2022 per Einwurf-Einschreiben versendet. Nach den Online-Daten der Deutschen Post war das Schreiben am 28. Juli 2022 zugestellt worden. Als Beleg legte der Arbeitgeber den Einlieferungsbeleg sowie den Ausdruck des Online-Sendungsstatus vor.
Entscheidend fehlte jedoch der Auslieferungsbeleg der Deutschen Post. Dieses
Dokument enthält neben Datum und Uhrzeit auch die Kennung der zustellenden
Person und belegt damit, dass der Brief tatsächlich in den Briefkasten des
Empfängers eingeworfen wurde.
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass die Kombination aus
Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus nicht ausreicht, um den Zugang einer
Kündigung zu beweisen. Der Sendungsstatus liefert zu wenig konkrete
Informationen. Weder der Name oder die Kennung des Zustellers noch genaue
Angaben zum Zustellort oder zur Art des Einwurfs sind darin enthalten. Ohne
diese Details könne nicht zuverlässig nachvollzogen werden, ob und wie die
Zustellung tatsächlich erfolgt ist.
Aus Sicht des Gerichts reicht ein solcher Nachweis nicht aus, um den Anscheinsbeweis zu begründen. Dieser setzt voraus, dass die vorliegenden Indizien nach allgemeiner Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den behaupteten Ablauf schließen lassen. Fehlen wesentliche Zustellinformationen, fehlt auch die Grundlage für diese Annahme. Das Bundesarbeitsgericht wies außerdem darauf hin, dass der Arbeitgeber innerhalb der fünfzehnmonatigen Speicherfrist der Post den Auslieferungsbeleg hätte anfordern können, insbesondere weil die Arbeitnehmerin den Zugang bereits in der ersten Instanz bestritten hatte.
Der Unterschied zwischen Sendungsstatus und Auslieferungsbeleg ist entscheidend. Der Sendungsstatus zeigt lediglich an, dass laut System eine Zustellung erfolgt sein soll, enthält jedoch keine genauen Angaben zur zustellenden Person, zur Uhrzeit oder zum Zustellort. Der Auslieferungsbeleg liefert dagegen konkrete Informationen darüber, wer die Zustellung vorgenommen hat und zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist. Damit lässt sich deutlich besser belegen, dass der Brief tatsächlich im Briefkasten des Empfängers gelandet ist.
Ein Einlieferungsbeleg zusammen mit dem Online-Sendungsstatus reicht nicht aus, um den Zugang einer wichtigen Erklärung zweifelsfrei zu beweisen. Für Arbeitgeber bedeutet das, dass sie bei Kündigungen, Abmahnungen oder anderen bedeutsamen Schreiben den Zugang besonders sorgfältig dokumentieren sollten.
Wer sich auf ein Einwurf-Einschreiben verlässt, sollte nicht nur den Einlieferungsbeleg aufbewahren, sondern auch den Auslieferungsbeleg bei der Deutschen Post anfordern. Dieser enthält die entscheidenden Zustellinformationen und kann im Streitfall den Unterschied zwischen einem gewonnenen und einem verlorenen Verfahren ausmachen.
Wird der Zugang bereits kurz nach Versand bestritten, sollte der Auslieferungsbeleg umgehend angefordert werden, um Beweislücken zu vermeiden.
In besonders sensiblen Fällen, wie bei fristlosen Kündigungen, Vertragsbeendigungen mit knapper Frist oder der Zustellung wichtiger Abmahnungen, ist die Zustellung durch einen persönlichen Boten oft die sicherste Wahl. Ein verlässlicher Bote kann nicht nur den Brief persönlich einwerfen, sondern auch die Umstände der Zustellung bezeugen. Vor Gericht bietet diese Variante regelmäßig die stärkste Beweiskraft. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, kann den Zustellvorgang zusätzlich durch Fotos oder eine kurze schriftliche Bestätigung des Boten dokumentieren.
Am Ende gilt ein alter juristischer Grundsatz, der hier besonders zutrifft: „Allegare necesse est, probare autem magis“: Es ist notwendig, sich auf etwas zu berufen, aber es ist noch notwendiger, es zu beweisen.
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